Hallo allerseits,
das zunehmende Interesse gewerblicher Akteure an OpenStreetMap hat auf ganz verschiedenen Ebenen Einfluss auf unser Projekt.
- Einmal natürlich werden gewisse Erwartungen an unsere Datenvollständigkeit und -qualität an uns herangetragen - entweder direkt durch die gewerblichen Nutzer, oder indem diese irgendwelche Apps auf den Markt werfen und deren (nicht-gewerbliche) Endnutzer dann Ansprüche an uns haben.
- Zum zweiten haben wir gewerbliche Nutzer, die die Sache selbst in die Hand nehmen und Daten zu OSM beitragen, entweder als Folge vom erstgenannten Punkt - das sind meistens die einigermassen nach den Regeln spielenden Gruppen wie Mapbox oder Telenav - oder die oft eher gegen uns agierenden SEO-Leute, denen es nur darum geht, ihre Werbung sichtbar zu machen.
- Drittens entwickeln gewerbliche Akteure Software für OSM, die unser Handeln im Projekt beeinflusst, zum Beispiel Editoren oder QA-Software.
- Viertens kann man beobachten, dass Leute mit OSM-Kompetenz (besonders mit OSM-Programmierkompetenz) tendenziell von den gewerblichen Akteuren “eingesammelt” werden und dann auch dazu neigen, verstärkt in Richtung der Firmeninteressen Software zu entwickeln (wobei das unterschiedlich krass ist - manche Arbeitgeber scheinen ihren Leuten da eine sehr lange Leine zu lassen, und in anderen Fällen drücken die vormals unabhängigen OSMer massiv ihre Arbeitgeber-Interessen zu OSM hinein und versuchen dabei noch von dem guten Ruf zu profitieren, den sie sich als Hobbyisten erarbeitet hatten).
- Fünftens sehe ich bei der OSMF-Vorstandsarbeit, dass die gewerblichen Interessenten immer Schwierigkeiten mit dem relativ unorganisierten OSM-Projekt haben, und dass es ihnen lieber wäre, sie hätten es mit einem ordentlich durchorganisierten Verein zu tun, wo man mit dem Chef verhandeln kann und nachher halten sich alle dran (oder wo man verbindliche Rechtsauskünfte bekommt, oder verbindliche Aussagen über künftige Pläne und so weiter). Auch hier wird unterschwellig Druck ausgeübt, das Projekt zu “professionalisieren”, was immer das heisst. Von den 7 OSMF-Vorstandsmitgliedern hat nur ein einziger überhaupt kein Business-Interesse an OSM; vier weitere arbeiten direkt für OSM-interessierte Firmen (Geofabrik, Mapbox, Telenav, Maps.me) und zwei weitere haben frühere (HOT) oder gegenwärtige (Wikimedia) Geschäftsbeziehungen zu Organisationen im OSM-Umfeld.
Ich kenne die meisten dieser Punkte von beiden Seiten, weil ich ja sowohl ein “Aktiver” als auch mit der Geofabrik ein “Gewerblicher” bin. Zum Beispiel kann ich als “Gewerblicher” kaum erwarten, bis wird endlich aufhören, kaputte Polygone doch noch auf der Karte zu rendern, weil ich dann keine Kunden mehr habe, die sich beschweren, dass in den Daten, die ich geliefert habe, ein Wald fehlt, der auf OSM sichtbar ist. Oder ich muss Kunden wegschicken, die (zum Beispiel) alle Windkraftanlagen in Deutschland mit Höhe wissen wollen. Und in der Geofabrik arbeiten mittlerweile ausser mir noch zwei Leute, die vor ihrem Job schon lange bei OSM waren.
Es ist ganz klar, dass wir als Projekt von den gewerblichen Interessen profitieren können - mittlerweile haben wir z.B. Microsoft, ESRI, Mapbox, Mapzen, Apple und Facebook als “Corporate Members”. Diese Firmen allein zahlen zusammen 60.000 Euro im Jahr in unsere Kasse, und das Geld brauchen wir auch - ein “normaler” OSM-Datenbankserver ist mittlerweile nichts mehr, was man bei Hetzner für 150 Euro im Monat mieten kann, diese Kisten kosten 30.000 Euro pro Stück. Und auch die Beiträge bei der Software und beim Mapping sind größtenteils Verbesserungen.
Trotzdem sollten wir als Projekt natürlich den Umfang dieser gewerblichen Teilnahme definieren, ansonsten ziehen wir den Kürzeren. Bei OSM sind in der Hauptsache unorganisierte Hobbyisten, die ein paar Stunden die Woche in ihrer Freizeit an der Sache arbeiten. Wenn gewerblichen Akteuren erlaubt wird, hier nach Belieben mitzumischen, stecken die OSM ohne nachzudenken in die Tasche, und das garnichtmal aus böser Absicht, sondern weil es einfach das Wesen eines gewerblichen Unternehmens ist, wohlorganisiert zu sein und mit “Projektmanagement” an so eine Sache heranzugehen - und so ein kleines Team kann leicht hunderte von Stunden pro Woche aufbringen, um ein bestimmtes Thema in OSM voranzutreiben.
Diese Selbstbehauptung der OSM-Community im Ansicht gewerblicher Interessen muss, ebenso wie die Interessen selbst, auf verschiedenen Ebenen Ausdruck finden; in vielen Punkten sind wir uns aber sowieso noch nicht klar, was uns eigentlich wichtig ist. Da wird noch viel dran gearbeitet werden müssen.
Bei der Richtlinie für organisiertes Mappen, die bei der DWG in Arbeit ist und die zu der zitierten Umfrage führt, handelt es sich um einen kleinen Baustein, der sicherstellen soll, dass sich die organisierten Mapper und die Hobbyisten auf Augenhöhe treffen. Dabei geht es nicht “gegen” gewerbliche Interessen, sondern den gewerblichen Interessen sollen konkrete Spielregeln an die Hand gegeben werden, wie man sich datenseitig in OSM einbringen kann. Ob und inwiefern auch nicht-gewerbliches, organsiertes Handeln in OSM von der Policy erfasst wird, wird sich zeigen, aber auch dann gilt: Es geht nicht “gegen” organisiertes Handeln, sondern soll ein gepflegtes Miteinander sicherstellen.
Das Thema “Behördenmitarbeiter mappen (behörden)regelwidrig in ihrer Freizeit und wollen nicht ertappt werden”, das geocodec anspricht, ist nicht Bestandteil einer geplanten Richtlinie. Ein “Outing” würde ja, wenn überhaupt, nur für jene gefordert, die im Auftrag einer Organisation handeln, und diese Behördenmitarbeiter würden das ja eben gerade nicht tun.
Schon heute allerdings wird von einem Mapper erwartet, dass er mindestens auf Nachfrage seine Quellen nennen kann, und da könnte so jemand schon in die Bredouille geraten, wenn er nicht zugeben kann oder will, dass er auf interne Unterlagen zugegriffen hat.
Das von geocodec an die Wand gemalte Schreckgespenst, dass niemand sich trauen würde, “offizielle” Daten zu ändern, halte ich auch für übertrieben; völlig unabhängig jeder Policy könnten Behördenmitarbeiter heute schon in ihr Profil schreiben, für wen sie tätig sind, und das würde ihren Beitrag auch nicht unangreifbar machen. Im Gegenteil, wie oft hatten wir schon “offizielle” Naturpark-Angestellte, die etwas gelöscht haben, was wir dann wiederhergestellt haben
Also, langer Rede kurzer Sinn, ich würde mich, wenn auch mit weniger drastischen Worten, Nakaner anschlissen - geocodec hat hier einiges in den falschen Hals bekommen. Eventuell ist die Umfrage ungeschickt formuliert, dass sie zu solchen Sorgen Anlass gibt, aber wenn das eine Beruhigung ist, ich sehe keine der von geocodec genannten Gefahren.
Bye
Frederik