Hallo zusammen,
zunächst einmal würde ich gerne auf https://wiki.openstreetmap.org/wiki/DE:MENTZ_GmbH#Wie_wir_OSM_einsetzen_m.C3.B6chten hinweisen.
Das ist unvermeidlicherweise nicht so konkret wie ich die Frage hier verstehe. ÖPNV (und ÖPV) hat extrem vielfältige Erscheinungsformen, und die Stärke von OSM ist eben schon die Flexibilität, die Situation vor Ort adäquat abzubilden, statt ein festes Schema zu verwenden. Daher gibt es kein festes Schema bei uns, auch wenn wir mit https://wiki.openstreetmap.org/wiki/DE:MENTZ_GmbH#Modellierungsvorschl.C3.A4ge unsere Edits möglichst gut vorhersehbar machen wollen. Insbesondere differieren auch Meinungen und Kenntnisse durchaus innerhalb der Firma und im Laufe der Zeit durch Erfahrung und auch Fortschritt in OSM. Dementsprechend ist dieser Post von meinen Sichten Stand heute gefärbt und keine offizielle Stellungnahme des Unternehmens.
Wenn man konkret werden will, sollte man zunächst einmal drei große Themenbereiche unterscheiden: physische Infrastruktur, Betriebsführung, Fahrgastinformation. Die drei Bereiche haben weniger Überschneidungen als man vermuten könnte: ein Fahrgast muss eben nicht das Signalsystem, die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten und so weiter kennen. Umgekehrt ist es für die Betriebsabwicklung relativ egal, ob Fahrgäste am Bahnsteig stehen und es überhaupt Fahrplaninformation, Beschilderung und Tickets gibt.
Und: auch für ÖPNV-Heiden ist ein Bahndamm oder Brücke eine wichtige Landmarke. Grob gesagt: alles, was sich auch an einem Streiktag vor Ort überprüfen lässt, ist die physische Infrastruktur.
Unser Kerngeschäft als Firma MENTZ ist Fahrgastinformation, auch wenn wir auch betriebliche System verkaufen. Bei der Betriebsabwicklung geht immer viel Wissen über örtliche Besonderheiten mit ein, und da hängt es immer von den Mitarbeitern im fahrenden Unternehmen (oder auch dem EIU) ab, welche Betriebsdetails sie für OSM als sinnvoll erachten und welche nicht. Es geht dabei weniger um Geheimhaltung als mehr darum, dass man viele Informationen auch in anderen Systemen hat und es dann unproduktiv ist, sie in OSM durchzufechten und dann doch so geändert zu bekommen, dass man sie nicht aus OSM wieder verwenden kann.
Die Qualität der betrieblichen Daten hängt daher praktisch immer an dem persönlichen Engagement von Mitarbeitern, oft außerhalb ihrer Arbeitszeit.
**Also: Es gibt ÖPNV-Profis mit OSM-Interesse ohne direkten Bezug zu MENTZ. Wir kennen und schätzen insbesondere OpenRailwayMap, den Lehrstuhl von Roland Wagner und die französische Gruppe Carto Cité im Auftrag der SNCF. Im allgemeinen ist OpenRailwayMap die maßgebliche Quelle, ob und wie eine betriebliche Information erfasst wird.
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Auch bei der Fahrgastinformation gibt es sehr unterschiedliche Modelle, wie die Arbeit zwischen Mitarbeitern der Verkehrsunternehmen, den Verkehrsverbünden und uns aufgeteilt ist. Normalerweise landet aber eine Nachricht im OSM-Nachrichtensystem an den Mapper, der gemappt hat, an der richtigen Stelle - das ist ja gerade der Sinn der Benachrichtungsfunktion von OSM.
Daten, die die Verkehrsunternehmen immer haben, sind der Aufbau ihrer Haltestellen, deren Namen und die Fahrpläne, welche Fahrt welcher Linie zu welcher Zeit anfährt. Schon diese Daten sind von Unternehmen zu Unternehmen verschieden strukturiert: das Konsens-Datenmodell sieht eine Hierarchie von “Haltestellen”, “Bereichen” und “Steigen” vor. Haltestellen sind die Dinger, die in einem schematischen Linienplan zu einem Punkt zusammengeschlagen werden. Das ist bewusst so formuliert, weil in Fällen wie Köln Hbf mit Dom/Hbf und Breslauer Platz/Hbf, Frankfurt Ostbahnhof mit Ostbahnhof/Sonnemannstraße und Ostbahnhof/Honsellstraße und hunderten weiteren Fällen es durchaus vom Verkehrsunternehmen abhängen kann, wie viele verschiedene Haltestellen man zählt.
Eine recht klare Definition gibt es für Bereiche: das sind Gruppen von Haltestellen mit unterinander vernachlässigbarem Fußweg, z.B. der Fußweg ist nicht deutlich länger als das Fahrzeug ohnehin ist. Ein typischer Fall sind die beiden Bahnsteigkanten eines Mittelbahnsteiges. Zu der Frage, ob die Fußwege innerhalb eines Busbahnhofs vernachlässigbar sind, gehen die Meinungen auseinander - durchaus berechtigterwiese, denn Busbahnhöfe können in ihrer räumlichen Ausdehnung und Durchlässigkeit sehr verschieden sein. Ähnlich sieht es mit gegenüberliegenden Bushaltestellen aus: was in einer ruhigen Wohnstraße problemlos überquerbar ist, ist es nicht an einer vier- oder sechsstreifigen Durchgangsstraße auch ohne bauliche Trennung.
Steige sind unterscheidbare Bahnsteig- oder Bussteigkanten, bzw. Haltemasten. Nicht alle Verkehrunternehme und Verkehrsverbünde haben ihre betrieblichen Daten bis zu diesem Detail modelliert. Wenn sie modelliert sind, gibt es oft eine mehr oder weniger gute Koordinate zu deren Lage. Auch Breiche und Haltestellen haben Koordinaten. Aber alle Profis wissen, dass deren genaue Lage inhärent willkürlich ist.
Alle diese Daten haben die Verkehrsunternehmen bereits selbst und müssen sie auch haben. Daher verwenden wir diese Daten nicht aus OSM. Was die Verkehrsunternehmen nicht haben, ist ein geographisches Wegenetz, weder für Fahrwege, noch für Zuwegungen für Fußgänger, Rollstuhlfahrer, Blinde, Radfahrer, Taxis und Autos. Diese Daten verwenden wir aus OSM. Ein großer Schwerpunkt ist dementsprechend Fußgänger- und Indoor-Navigation.
Mit dieser Erläuterung lässt sich kurz und jetzt hoffentlich unmissverständlich formulieren: MENTZ verwendet vorrangig Daten zur physischen Infrastruktur (einschließlich Fahrgast-Leitsysteme und Beschilderung) aus OSM. Daten zur Fahrgastinformation kommen immer von den Vekehrsunternehmen. Fahrgastinformation in OSM und betriebliche Daten respektieren wir beim Editieren, haben aber keinen Anspruch, sie zu vervollständigen.
Darüber hinaus gibt es auch durchaus Interesse an weiteren OSM-Daten jenseits des ÖPNV und ÖPV: eine gute Fahrplanauskunft findet auch POIs, Adressen und Hausnummern. Auch hier gibt es wieder alle Konstellationen. Manchmal wird dem VU nahegelegt oder auferlegt, für POIs oder Hausnummern amtliche Daten zu nutzen, manchmal müssten sie die amtlichen Daten für teures Geld lizensieren. Manchmal verwenden sie lieber OSM-Daten. Der Grund ist auch ein anderer als man denkt: als VU kann man sich nicht zu eigen machen, dass man einen Teil der Restaurants kennt und einen anderen Teil nicht. Daher haben amtliche POI-Daten meist keine Restaurants und auch viele anderen interessante Ziele müssen fehlen. Mit OSM als Quelle kann man jedem Beschwerdeführer einen einfachen Weg anbieten, wie er die Daten korrigieren kann - und es profitieren dann auch alle anderen, die OSM nutzen und nicht nur das VU. Insofern wird dann OSM die Quelle für die akzeptierte kollektive Deutung der örtlichen Gegebenheiten und erreicht dabei in der Regel eine Qualität, die diese prominente Rolle rechtfertigt.
Viele Grüße,
Roland (dienstlich)