Historische Namen & Transnistrien

Es gibt ja bekanntlich old_name für historische Namen von Straßen. Ich bin gerade dabei Straßen in der Stadt Bendery (in Transnistrien/Moldawien) zu taggen. Amtssprachen sind dort heute Russisch, Rumänisch (dort in kyrillischer Schrift geschrieben) und Ukrainisch. Aktuell sind dort deswegen Straßennamen in vier Sprachen getaggt (Standard ist Russisch, daneben Rumänisch (lateinisch), Moldauisch (Rumänisch in kyrillischer Schrift) und Ukrainisch.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat es mehrere große Umbenennungswellen von Straßen gegeben.
Die Stadt gehörte mal zum Russischen Zarenreich, dann zu Rumänien, dann zur Sowjetunion, dann zum faschistischen Rumänien, ab 1945 wieder zur Sowjetunion (Moldawische Teilrepublik), danach kurz zum unabhängigen Moldawien, seit 1992 zum international nicht-anerkannten Staat Transnistrien. Jedes Mal hat man Straßen umbenannt.
Die historischen Straßennamen sind meist bekannt, es liegen auch die Daten vor, wann welche Straße umbenannt wurde und wie lange sie so hieß.

Daher stellen sich für mich folgende Fragen:

  • Gibt es old_name2, old_name3?

  • Kann man irgendwie auch einbauen, in welchem Zeitraum eine Straße einen Namen trug?

  • Da es dort mehrere Amtssprachen gibt stellt sich für mich auch die Frage: Gibt es so etwas wie old_name:ru, old_name2:ru, old_name:ro, old_name2:ro?

Das ganze sind ja zum Teil auch recht allgemeine Fragestellungen, die so auch andere mehrsprachige Regionen betreffen können.

  1. Eigentlich gibt’s(nicht so viel aber :wink: ):
key         count_all 
----------  ----------
old_name2   109       
old_name3   8         
old_name4   4         
key           count_all 
------------  ----------
old_name:ru   2617   
old_name2:ru  8         
old_name3:ru  2         
old_name:ro   15    
old_name:en   2282   
old_name2:en  3        

Das sind Daten aus täglichen taginfo-db.

So es scheint das old_name:sprache ist benutzt, die andere nicht bestimmt.

Es gibt die Syntax “name:-”. Das kann man um Sprachangaben erweitern, z.B: “name:ro:1945-1950”. Ich finde das sinnvoller als “old_name3:ro”.

Wie viele Namensvarianten in OSM stehen sollen, ist schwer zu sagen. Ich hätte mit allen Namen der letzten etwa 100 Jahre, die noch in Dokumenten lebender Personen auftauchen, keine Probleme.

Vermutlich betreffen die Umbenennungen auch nur die Straßen mit Politiker- und Propagandanamen und nicht neutrale Namen wie “Schulstraße”, “Bahnhofstraße”, …

Ich habe kaum eine Vorstellung von Transnistrien. Wie ist die politische Stimmung? Akzeptiert man ehemalige Straßennamen als historische Tatsache oder versucht man die Erinnerung daran zu tilgen?

Macht es Sinn, einen Namen einer Straße, der das ganze 19. Jahrhundert über galt, in OSM zu berücksichtigen? Ich persönlich halte sowas schon für relevant, gerade wenn man z.B. historische Karten hat und das mit dem aktuellen Bestand vergleichen will.

In Transnistrien gab es z.B. auch einige von Russlanddeutschen bewohnte Dörfer, in denen bis 1941 alle Straßen deutsche Namen hatten. Ich war dort in einem Museum, habe eine alte Karte mit diesen Namen fotografiert und das dann in OSM als old_name:de eingetragen. Ist sowas ok?

Im Wesentlichen versucht man dort die Sowjet-Nostalgie aufrecht zu erhalten. Die allgemeine Stimmung dort ist sehr russlandfreundlich und patriotisch, am liebsten würde man dort wohl auch wie die Krim an Russland angeschlossen werden. Ich habe noch nie so viele Fahnen in Autos gesehen wie in Transnistrien. Diese Stimmung dort ist in allen Bevölkerungsgruppen zu finden, auch z.B. unter rumänischsprachigen Moldauern. Ich habe damals (2014) in einer Familie gewohnt, die ukrainisch-moldawischer Herkunft war und vermutlich pro-russischer eingestellt war, als die meisten Russen in Russland.

Ich persönlich fand die Stimmung aber wesentlich toleranter als in Moldawien. In Transnistrien hat man oft dreisprachige Straßenschilder, in Moldawien werden zweisprachige Schilder abgehängt und gegen einsprachig rumänische ausgetauscht. Im Gegensatz zu Moldawien, wo in größeren Städten (z.B. Chisinau) seit 1991 fast jede Straße umbenannt wurde, gab es in Transnistrien seit 1992 nur sehr wenige Umbenennungen.

Zu den Namen:
Die alten Namen aus der Zarenzeit hatte man in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wiederhergestellt, erst in den 1950er-Jahren hat man dann die typisch sowjetischen Straßennamen eingeführt (Lenin-Straße, Straße des 1. Mai, Sowjetische Straße, etc.).

Rumänien wird dort, so zumindest habe ich es erlebt, als feindliche Besatzungsmacht empfunden. Die Namen aus der rumänischen Zeit sind ziemlich in Vergessenheit geraten, außer Stadthistorikerin kennt die dort kaum jemand. Zum Teil waren die Namen politisch auch äußerst vorbelastet (Strada Adolf Hitler…), zum Teil aber total harmlos. So hatte man z.B. einige zentrale Straßen nach kaum bekannten rumänischen und moldawischen Dichtern benannt. In vielen Fällen hat man nach 1945 diese Namensgebung nicht völlig getilgt, sondern irgendwelche kleinen Vorstadtstraßen nach diesen Leuten benannt.

Für die aktuellen Namen würde ich erstmal
name:ru
name:ro
name:uk
verwenden, name:mo sollte laut der Norm nicht benutzt werden sollte. So wie ich das in Wikipedia lese ist in Moldawien die kyrilllische Schriftweise auch unter den Menschen die explizit moldauisch sprechen umstritten. Daher wäre name:mo ja auch nicht gleich kyrillisch. name:md wird anscheinend auch verwendet (z.B. Tiraspol), entspricht aber auch nicht der norm. Wenn es nichts besseres gibt, wäre name:mo für die kyrillische schreibweise aber meiner Meinung nach schon ok, aber ich bin ja auch kein Moldauer. Vielleicht haben die was dagegen.
name_1 würde ich vermeiden, da gabs mal irgendo einen Thread im Forum, finde den grade nicht.

name=* ist dann die rumänische lateinische version in Moldawien und die rumänisch-kyrillische in Transnistrien?

entsprechend dann genauso für old_name verfahren wäre dann am naheliegendsten.

Edit: ach, name:lmo gibts auch für lateinisch moldawisch. da gehts ja drunter und drüber. :slight_smile:

In der Geschichtskarte Historic.Place stellen wir historische Straßennamen derzeit nicht dar. Das liegt hauptsächlich daran, daß unsere Software das derzeit nicht unterstützt und noch nicht klar ist, wie man das sinnvoll realisieren kann. Wir haben schon einmal über einen Timeslider ähnlich Google Earth nachgedacht, das ist derzeit aber ferne Zukunftsmusik.

Grundsätzlich begrüßen wir natürlich das Erfassen historischer Fakten wie auch Straßennamen es sind. Die oben vorgeschlagene Methode ist sicher eine Variante, mit der man leben könnte, da sie strukturiert ist. Eine lifecycle Relation ist das was uns eigentlich vorschwebt. Mal sehen, was sich etablieren wird.

Gruß,
Zecke

In Moldawien ist “name” die rumänisch-lateinische Version, mit Ausnahme der Region Gagausien. Dort sind Straßennamen (aber nicht die Ortsnamen, warum auch immer) auf Russisch getaggt. Dort ist Russisch auch offiziell Amtssprache. In einigen anderen russischsprachigen Teilen des Landes wird auch einfach so Russisch für name verwendet. In vielen Teilen Moldawiens ist Russisch zwar nicht offiziell Amtssprache, aber in der Praxis spricht es jeder und auch auf offizieller Ebene wird es trotzdem verwendet. Ein gutes Beispiel ist die Stadt Bălți, die zweitgrößte Stadt des Landes, wo pro-russische Politiker meist um die 90% der Stimmen bekommen und selbst die 10% Oppositionellen oft auf Russisch kommunizieren. Der Bürgermeister der Stadt verwendet z.B. auf seiner Facebook-Seite nahezu ausschließlich Russisch, offizielle Dokumente gibt es auch auf Russisch, etc. Meistens finden sich die russischen Namen aber in name:ru und name=* ist in der Tat Rumänisch. Rumänisch-Kyrillisch wird seit 1991 eigentlich gar nicht mehr verwendet, außer in Transnistrien.

Seit 2009 geht die Tendenz in Moldawien (leider) zu weniger Toleranz. Seitdem ist dort eine pro-europäische Regierung an der Macht, in der es auch recht starke anti-russische und nationalistische Strömungen gibt. Seitdem wurden ziemlich viele restriktive Maßnahmen gegen das Russische erlassen. In Chisinau ist es meines Wissens nach inzwischen Verboten russische Schilder an Geschäften oder Restaurants zu verwenden. Viele diese Regelungen werden aber oft einfach ignoriert, weil sie unrealistisch sind.

In Transnistrien ist name=* die russische Form. Russisch ist auch die einzige Sprache, die durchgängig auf 100% aller Schilder in Transnistrien zu finden und die jeder spricht. Rumänisch-Kyrillisch (“Moldauisch”) ist, so würde ich schätzen, auf 80-90 % aller Schilder zu finden. Ukrainisch findet sich maximal auf 10-20% aller Straßenschilder. Rumänisch in lateinischer Schrift findet man so gut wie nirgends in Transnistrien, auf offiziellen Schildern wird es grundsätzlich nicht verwendet. Weil es aber faktisch die selbe Sprache wie Moldauisch ist, kann man die rumänische Form nach festen Regeln aus der Moldauisch-Kyrillischen Form ableiten, die ja fast immer vorliegt. Da Russisch und Ukrainisch äußerst ähnlich sind, wird die Ukrainische Form auch aus der Russischen Form abgeleitet - ähnlich wie auch in Weißrussland und der Ukraine.

Google Maps verwendet in Transnistrien für alle Benutzer, die nicht Russisch als Systemsprache benutzen, eine komplett merkwürdige Mischung aus Rumänischen Namen und Englischen Übersetzungen der Russischen Straßennamen. Diese Namensgebung ist vollständig nutzlos, da sie nicht mit einem einzigen Straßenschild in Transnistrien übereinstimmt und hat wohl politische Gründe. Da bin ich froh, dass man bei OSM da pragmatischer ist und es die “on the ground”-Regel gibt. :slight_smile:

Ich finde, Transnistrien und Moldawien sind gute Beispiele, warum es Sinn macht, Namen in mehreren Sprachen hinzuzufügen. :slight_smile: Schade, dass es aktuell keinen Dienst mehr gibt, wo man sich einfach Namen in verschiedenen Sprachen anzeigen kann. http://mlm.jochentopf.com scheint nicht mehr zu funktionieren.